In diesem Jahr konnte der Kongress der European Society of Medical Oncology (ESMO) mehr als 30.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt begrüßen. Ergebnisse zu über 2.000 Studien für verschiedene Krebsarten wurden präsentiert. Auch im Bereich Nierenkrebs gab es einige Neuigkeiten. Im Folgenden haben wir die Zusammenfassung unserer Kollegen der International Kidney Cancer Coalition (IKCC) für Euch ins Deutsche übersetzt.
Ergebnisse der Titan-RCC Studie
Breitet sich Nierenkrebs in andere Körperregionen aus, d.h. im Fall einer metastasierten Erkrankung, können Medikamente helfen die Erkrankung zu kontrollieren, das Leben zu verlängern und eventuell auftretende Beschwerden zu verringern. Da die klassische Chemotherapie bei Nierenkrebs nicht wirksam ist, waren in den vergangenen Jahren die sogenannten Tyrosinkinase-Hemmer (TKI) die Medikamente der Wahl. Sie blockieren die Durchblutung der Krebszellen und verhindern so ein weiteres Wachstum des Tumors. Mit den neuen Immuntherapien kam in den letzten Jahren eine weitere Möglichkeit der Behandlung hinzu. Dabei wird das körpereigene Immunsystem so angeregt, dass es sich gegen den Krebs wendet.
Zwei der ersten getesteten Immuntherapeutika waren Nivolumab und Ipilimumab (in Kombination informell als Ipi/Nivo bezeichnet). Ipi/Nivo wurde aufgrund der Ergebnisse der CheckMate-214-Studie bereits in vielen Ländern zur Behandlung von Nierenkrebs zugelassen. Die Kombination aus Ipi und Nivo wird dabei 3 Monate lang alle 3 Wochen intravenös verabreicht – also insgesamt sind es erstmal vier Behandlungen. Zeigt die Behandlung eine Wirkung, wird danach Nivolumab als alleinige Therapie bis zu 2 Jahre lang weiter verabreicht. Dabei sind die beiden Medikamente jedoch keine gleichberechtigten Partner: Ipilimumab zeigte bei alleiniger Gabe wenig Nutzen, während Nivolumab einigen Patienten auch als Einzeltherapie helfen konnte und im Allgemeinen weniger Nebenwirkungen auszulösen scheint. Benötigen also wirklich alle Patienten auch beide Medikamente, oder könnte eines der beiden ausreichend sein? Dies war die grundlegende Frage, die in der TITAN-RCC-Studie genauer untersucht wurde.
In dieser Studie begannen alle teilnehmenden Patienten eine Behandlung mit Nivolumab als Einzeltherapie und setzten die Kombination aus Nivolumab plus Ipilimumab nur dann ein, wenn dies zur „Verstärkung“ der Krebsbekämpfung erforderlich war. Auf dem ESMO-Jahreskongress 2019 wurden nun die ersten Ergebnisse der europäischen TITAN-RCC-Studie (mit 207 Patienten) vorgestellt. Ungefähr 100 Personen, die noch nie zuvor eine Therapie gegen Nierenkrebs erhalten hatten, und weitere 100 Personen, die im Vorfeld einen TKI eingenommen hatten, wurden in die Studie aufgenommen. Allen Teilnehmern der Studie wurde dieselbe Behandlung angeboten.
Wichtige Ergebnisse zusammengefasst:
- Bei etwa einem Viertel (29 Prozent) der Studienteilnehmer, die zuvor KEINE Behandlung gegen Nierenkrebs erhalten hatten, konnte bereits die Gabe von Nivolumab als Einzeltherapie eine Verkleinerung des Tumors erreichen. Die Patienten, bei denen dies nicht der Fall war, erhielten zusätzlich die Kombination aus Ipi plus Nivo. Dadurch stieg die Ansprechrate (Prozentsatz der Patienten bei denen die Therapie wirkt) auf etwas mehr als ein Drittel (37 Prozent). Bei Patienten, die zuvor bereits eine andere Behandlung gegen Nierenkrebs erhalten hatten, stieg die Ansprechrate mit der Ipi/Nivo-Kombination von 18 Prozent mit Nivolumab alleine auf 28 Prozent unter der Kombinationstherapie.
- Der Prozentsatz der Patienten mit sogenannter Complete Response (CR), also einem vollständigen Verschwinden ihrer Erkrankung, betrug lediglich 2 Prozent. Das ist weit weniger als in der Checkmate-214-Studie, bei der 9 Prozent der Patienten unter der Kombinationstherapie aus Ipilimumab plus Nivolumab keinerlei Anzeichen der Erkrankung mehr aufwiesen.
- Die Nebenwirkungen schienen insgesamt geringer zu sein als unter der Ipi/Nivo-Kombination, ein direkter Vergleich war jedoch schwierig. Es wurden keine neuen Nebenwirkungen festgestellt.
Nicht allen Patienten ging es gut genug, um nach der Einzeltherapie mit Nivolumab noch die Ipi/Nivo-Kombination zu erhalten. Dies war vor allem bei den Patienten (77 Prozent) der Fall, die zuvor keine andere Therapie erhalten hatten. - Die Frage, ob diese Art der Behandlung nun besser ist als die Standardtherapie mit Ipi/Nivo-Kombination konnte die Studie leider nicht beantworten. Weitere Untersuchungen sind hier nötig.
SORCE Studie
Bei Patienten, deren Krebs auf die Niere beschränkt ist und noch keine Metastasen in anderen Organen vorhanden sind, ist es meist ausreichend den Tumor operativ zu entfernen. Eine zusätzliche medikamentöse Behandlung ist in der Regel nicht erforderlich. Allerdings wird auch hier zunehmend diskutiert, ob eine vorsorgliche (adjuvante) Einnahme von Medikamenten eine eventuelle Rückkehr der Erkrankung verhindern könnte. Beim diesjährigen ESMO-Kongress wurden die Ergebnisse der SORCE-Studie vorgestellt, die eine adjuvante Therapie mit Sorafenib genauer betrachtet hat.
Die teilnehmenden Patienten wurden in drei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe erhielt ein Scheinmedikament (Placebo), den Patienten aus der zweiten Gruppe wurde Sorafenib für 1 Jahr verabreicht, die dritte Gruppe nahm das Medikament über 3 Jahre ein. Wie schon in anderen ähnlichen Studien zuvor, litten auch hier die Patienten unter relativ starke Nebenwirkungen. Es scheint, als könnten metastasierte Patienten die unerwünschten Wirkungen der Medikamente besser tolerieren als Patienten in der adjuvanten Situation. Da viele Patienten die Studie aufgrund von Nebenwirkungen etwa in der Mitte des Beobachtungszeitraumes abbrachen, wurde die Sorafenib-Dosierung für alle verbliebenen Teilnehmer von zweimal täglich auf lediglich eine Einnahme reduziert.
Trotz der relativ starken Nebenwirkungen zeigten sich im Vergleich zum Placebo - also keiner Behandlung, keine Unterschiede im Gesamtüberleben. Auch gab es keine Unterschiede was den Zeitraum bis zum Wiederauftreten der Erkrankung betraf.
Schlussfolgerungen aus der SORCE-Studie:
- Sorafenib sollte bei Nierenkrebs nicht als vorsorgliche Therapie angewendet werden (d.h. nach einer Operation, um die Rückkehr der Krankheit zu verhindern).
- Eine engmaschige Überwachung und regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind nach wie vor die beste Möglichkeit, Patienten mit mittlerem oder hohem Rückfallrisiko, nach der Entfernung des Tumors, zu versorgen.
Anmerkung: Bereits vor einiger Zeit wurde im Rahmen der S-TRAC-Studie die adjuvante Nierenkrebs-Behandlung mit Sunitinb untersucht. Hier zeigte sich ein leichter Vorteil im sogenannten „krankheitsfreies Überleben“. Dies ist die Zeit zwischen dem Beginn der Studie und dem Wiederauftreten der Erkrankung. Im Gesamtüberleben, also der Zahl der Patienten, die nach einem bestimmten Zeitraum noch am Leben waren, zeigten sich jedoch auch hier keine Unterschiede. Weder in S-TRAC noch bei jeder anderen bisher durchgeführten klinischen Studie, in der ein TKI in der adjuvanten Situation bei Nierenkrebs eingesetzt wurde, konnte das Gesamtüberleben der Teilnehmer durch die Einnahme der Medikamente verbessert werden. Derzeit laufen nun klinische Studien, die den adjuvanten Einsatz der neuen Immuntherapien vor und nach der Operation genauer untersuchen. Ergebnisse liegen dazu aber derzeit noch keine vor.
ENTRATA
In den beiden Studien TITAN-RCC und SORCE wurden Fragen zur Verbesserung der Anwendung bestehender Arzneimittel gestellt. Beim ESMO wurde aber auch über Studien berichtet, die ganz neue Wirkstoffe untersuchten. Einer davon war der Glutaminasehemmer Telaglenastat, der in der klinischen Phase-II-Studie ENTRATA getestet wurde. Personen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem klarzelligen Nierenzellkarzinom, deren Erkrankung nach Einnahme von mindestens einem oder zwei anderen Therapien fortgeschritten war, erhielten nach dem Zufallsprinzip neben Everolimus, einem älteren Medikament gegen Nierenkrebs, entweder Telaglenastat oder ein Placebo. Obwohl Telaglenastat + Everolimus das progressionsfreie Überleben gegenüber Placebo + Everolimus numerisch „verdoppelte“, waren die tatsächlichen Ergebnisse bemerkenswert schlecht; 3,8 Monate im Vergleich zu 1,9 Monaten. Andere (bereits zugelassene) Wirkstoffe zeigen hier eine wesentlich bessere Wirkung.
Telaglenastat blockiert die Versorgung des Tumors mit Nährstoffen, wodurch der Krebs nicht mehr weiterwachsen kann. Derzeit wird der Wirkstoff in Kombination mit anderen Medikamenten bei Nierenkrebs getestet. Es ist zu hoffen, dass andere Kombinationen einen größeren Nutzen bringen.
Neuer HIF-2-Inhibitor
Der Hypoxie-induzierte Faktor 2-alpha oder kurz „HIF2α“ reguliert die Versorgung der Körperzellen mit Sauerstoff. Bekannt wurde dieses Protein durch die Vergabe des Nobelpreises für Physiologie/Medizin 2019 an die zwei US-Amerikaner William Kaelin und Gregg Semenza und den Briten Peter Ratcliffe, die die Wirkung von HIF entdeckten und erforschten. Interessant ist dabei, dass die Konzentration von HIF2α beim klarzelligen Nierenzellkarzinom, der häufigsten Form von Nierenkrebs, erhöht ist. PT2977 oder MK6482 ist ein Medikament, das HIF2α blockiert und dadurch theoretisch das Nierenzellkarzinom kontrollieren oder schrumpfen lassen könnte. Beim ESMO-Kongress wurde nun eine Phase-2-Studie vorgestellt, in der PT2977 an 55 Patienten mit stark vorbehandelter metastasierter Erkrankung getestet wurde. Diese Patienten hatten im Durchschnitt bereits drei Vortherapien erhalten. Alle Studienteilnehmer vertrugen PT2977 recht gut, wobei bei einer Minderheit der Patienten ein niedriger Hämoglobin- und Sauerstoffspiegel im Blut festgestellt wurde. 24 Prozent der Patienten zeigten einen Rückgang der Erkrankung und eine Verkleinerung der Metastasen um mindestens 30 Prozent (sogenannte partielle Remission). Die mediane Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung (progressionsfreies Überleben) betrug 11 Monate. Diese Daten sind sehr vielversprechend. Die Studie wird daher jetzt in eine Phase-3-Studie übergehen, in der PT2977 bei einer höheren Patientenzahl gegen Everolimus getestet wird.
Gute Nachrichten für Patienten mit Nierenkrebs mit sarkomatoiden Anteilen
Nierenkrebs kann aus verschiedenen Zellen der Niere entstehen und sieht dementsprechend unter dem Mikroskop auch unterschiedlich aus. Mediziner sprechen dann vom klarzelligen, papillären oder chromophoben Typ – je nachdem, wie die Zellen beschaffen sind. Allerdings können all diese Nierenkrebsarten auch Bereiche entwickeln, die einen sogenannten sarkomatoiden Anteil aufweisen, in denen die Zellen klein und dünn sind. Dies deutet eher auf eine aggressivere Krebsart hin. Auch zeigt die Standardbehandlung mit TKIs bei Tumoren mit sarkomatoiden Merkmalen meist leider weniger Wirkung. Allerdings scheint es, dass gerade der sarkomatoide Typ auch mit mehr Immunzellen im Tumor verbunden ist, was dazu führen kann, dass der Tumor besser auf eine Immuntherapie mit einem Checkpoint-Hemmer anspricht.
Dies bestätigten auch die Ergebnisse der CheckMate-214 Studie. Hier zeigte sich bei Patienten mit sarkomatoidem Nierenkrebs eine höhere Ansprechrate sowie ein höheres progressionsfreies Überleben und Gesamtüberleben unter der Behandlung mit einer Immuntherapie aus Ipilimumab plus Nivolumab im Vergleich zu Sunitinib.
Auf dem ESMO-Kongress 2019 wurde eine weitere klinische Immuntherapie-Studie mit dem Namen Javelin Renal 101 veröffentlicht. In der Phase-III-Studie wurde Axitinib (ein TKI) in Kombination mit dem PD-L1-Antikörper Avelumab (also einer Immuntherapie) gegen Sunitinib bei metastasiertem Nierenzellkarzinom betrachtet. Die Autoren haben für Ihre Präsentation speziell die Daten der sarkomatoiden Patienten ausgewertet, um die Reaktion auf die Kombinationstherapie oder die alleinige TKI-Therapie zu untersuchen.
Insgesamt wurden 108 Patienten mit Nierenkrebs mit sarkomatoiden Merkmalen in die Studie aufgenommen - 47 Patienten erhielten Avelumab plus Axitinib und 61 Patienten erhielten Sunitinib. Der Avelumab plus Axitinib-Arm erzielte eine erkennbare Verbesserung der Ansprechrate: 46,8 Prozent der Patienten unter der Kombinationstherapie sprachen demnach auf die Behandlung an. Unter Sunitinib waren es lediglich 21,3 Prozent der Patienten. Zwei Patienten mit sarkomatoidem Nierenkrebs zeigten ein vollständiges Ansprechen auf die Kombination, das heißt, bei Ihnen waren nach der Behandlung keinerlei Anzeichen der Erkrankung mehr nachweisbar. Darüber hinaus erzielte Avelumab plus Axitinib bei Nierenkrebspatienten mit sarkomatoiden Merkmalen eine erkennbare Verbesserung des progressionsfreien Überlebens um 3,0 Monate und eine statistisch signifikante Verbesserung der Ansprechdauer um 2,4 Monate.
Zusammengenommen weisen die Javelin Renal 101-Ergebnisse in Verbindung mit den CheckMate214-Daten eindeutig auf einen Nutzen für die Immuntherapie und die Kombination von Immunonkologie bei Nierenkrebs mit sarkomatoiden Merkmalen hin. Eine aktuelle Analyse anderer Studien stützt diese Schlussfolgerung.
Herzlichen Dank an unsere Kollegen der IKCC für die Bereitstellung dieser Zusammenfassung der Highlights des ESMO-Kongresses.